In The Absence Of Truth

2011/05/28

Etwas besseres als den Tod finden wir überall. Nachruf auf den Letzten Hype

Filed under: General — In the absence of truth @ 12:20

Es war, muss man heute schon sagen, eine andere Zeit, als sich gegen Ende des Jahres 2006 einige wenig empfehlenswerte Leute aus den Schatten einer etwas heruntergekommenen Szene in einer kaum bemerkenswerten unterfränkischen Universitätsstadt zusammentaten, um so etwas ähnliches wie eine kommunistische Zeitschrift anzufangen.

Es ist heute nicht mehr ohne weiteres zu verstehen, warum sie das taten. Es war, wie schon erwähnt, eine andere Zeit. Es war, wie es scheint, ein Gedanke, der sich damals vielen einfach aufdrängte, und dem man ohne besonders langes Nachdenken nachgeben musste; es war, wie es scheint, allen Beteiligten klar, dass sie damit auf eine ganz bestimmte, nicht ganz leicht zu verstehende Weise Geschichte schreiben sollten.

Und zwar Geschichte von der Art radikal geheimer, weil absolut unmöglich mitteilbarer Art, wie sie ein damals umlaufendes Diskussionspapier mit den Worten beschrieb: „in den ritzen der offiziellen geschichte, dieses alpdrucks, findet die geheime geschichte
statt, gleichsam im untergrund. und der sinn dieser geheimen geschichte, ihre eigene
tendenz, ist: den alpdruck zu beenden.“

1. Was sie zustande brachten, war in der Tat auch so etwas ähnliches wie eine kommunistische Zeitschrift. Nach einer unscheinbaren Gegend in Würzburg, dem Letzten Hieb, benannt, änderte die Zeitschrift bereits während der Drucklegung der ersten Ausgabe ihren Namen in das irgendwie besser klingende, vage beziehungsreiche „Letzter Hype“ und begann, ihre regelmässigen Communiques, Bettelbriefe oder Partyankündigungen zu unterzeichen mit „Für immer: Der letzte Hype“. Dass es bei diesem Versprechen nicht bleiben konnte, war damals völlig unerheblich.

Streng nach altem Brauch wählte man sich bei der ersten Redaktionssitzung den zum Chefredakteur, der als einziger glaubwürdig versprochen hatte, nichts, aber auch gar nichts zum Gelingen des Vorhabens beitragen zu wollen, und gab ihm zur Strafe ein abscheuliches und groteskes Pseudonym, an dessen Folgen er bis heute leidet. Später machte man sich einen Spass daraus, öffentlich über seine Ablösung abstimmen zu lassen und ihn zuletzt durch eine Person zu ersetzen, die niemals jemand zu Gesicht bekommen hatte.

Redaktionstreffen wurden gerne einberufen, aber auch bei vollzähligem Erscheinen kaum abgehalten, weil es niemanden wirklich interessierte. Das Verhältnis zwischen Zahl und Art der Beiträge, die irgendjemand leichthin versprochen hatte, und derer, die dann tatsächlich irgendwann hereinkamen, war anscheinend keinerlei Gesetzen unterworfen; gegengelesen wurde aus Prinzip nie, nicht aus guten Gründen, sondern mangelnder Disziplin; zuletzt rückte derjenige, der aus unerfindlichen Gründen das Amt des Layouters versah (wir nannten ihn unseren Verleger, weil er einmal eine halbe Auflage verlegt hatte, auf seinem Dachboden, für ungefähr ein Jahr) das ganze halbgare Zeug in eine Art Layout zusammen und gab es in Druck.

Nicht, dass es kein Lektorat gegeben hätte: der, den wir den Verleger nannten, las die Texte aufmerksam nach Rechtschreibfehlern durch und liess sie dann laut lachend dort stehen, wo sie waren. Das war seine Rache an uns dafür, dass wir ihm all das antaten, und gleichzeitig seine einzige Freude; wenn er nicht kurzerhand alle Fussnoten verschwinden liess, auf die wir so stolz gewesen waren, oder mithilfe eines Layout-Konzeptes, das die Drucklegung um volle 3 Wochen verzögerte, das Heft vollkommen unlesbar machte (um, wie er sagte, unsere Texte als im Vergleich nicht ganz so unlesbar erscheinen zu lassen).

2. Um das ganze abenteuerliche Unterfangen zu verstehen, muss man begreifen, in welcher Situation sich die Beteiligten damals sahen. Wenige Jahre waren seit dem Iraq-Krieg und der nachfolgenden Friedensbewegung vergangen; die Verblödung und allgemeine Selbstgleichschaltung der Linken hatte jedes bisherige Refugium verwüstet hinterlassen; es gab buchstäblich nichts mehr, ausser uns; und doch war eine bestimmte Unruhe wie mit Händen zu greifen, das Gefühl war unabweisbar, dass keineswegs schon alles entschieden sein konnte, oder durfte. Der Stillstand, die allgemeine Stagnation und langsame Verschlechterung der Dinge waren nicht zu übersehen, man lebte ja in nichts anderem als ihrem Detritus, aber doch griff gleichzeitig der Gedanke um sich, dass die Unruhe, die man in sich fühlte, vielleicht nicht von Natur aus der Vorschein kommender Unruhen sein musste, aber vielleicht doch dazu gemacht werden konnte.

Wie lange war es her, dass in den französischen Vororten ganze Wochen lang etwas geschah, was man nur als einen Aufstand bezeichnen mochte? Vor unseren Augen, mitten in der verkommenen Idylle, spielte sich doch schon das Geschehen ab, auf das wir nicht einmal zu warten gewagt hatten: mitten in dieser Welt erschien der Aufstand wieder, in seiner ganzen flackernden Pracht, und verschwand wieder, wie ein Gespenst im Morgengrauen, doch nur, um wiederzukommen.

Vor unseren Augen erschienen, in einem einzigen Moment, die Umrisse der kommenden Revolten, und wir waren ein Teil davon, ob wir es wussten oder nicht.

Und die Gestalt, in der uns die Gesellschaft erschien, gegen die in Aufstand zu treten war, war ausgerechnet die Stadt Würzburg, und ihr Umland, die fränkischen Dörfer am Main und der Tauber, aus denen wir kamen, und vor deren Elend wir in das Elend des würzburger Studierendenmilieus geflohen waren; und dieses Studierendenmilieu selbst, und dessen linker und kultureller Fortsatz selbst, von dem wir uns in jeder Richtung umgeben sahen, und gegen den wir unsere Ablehnung zur Geltung zu bringen hatten, und zwar in gemeinsamer grosser Aktion.

3. Noch deutlicher stand uns die Katastrofe vor Augen, auf die die Menschheit zuzusteuern im Begriff war, und als deren Inbegriff und Krönung wir den Antisemitismus und den Hass auf Israel begriffen, die Garanten der Konterrevolution.

Niemand von uns hatte vor, eine neue Bahamas zu gründen, wo doch schon die alte Bahamas sich als gründlich überflüssig erwiesen hatte; sowenig wir es einsahen, die kritische Theorie als akademisches Spiel einiger radikaler Dozenten auslaufen zu lassen, die sich und ihre Schüler um die radikalen Konsequenzen, die aus ihr zu ziehen wären, betrügen mussten, sowenig konnte uns das genügen, was damals als antideutsch-kommunistische Tendenz bekannt war.

Diese antideutsch-kommunistische Strömung hatte nun zwar 2003, im Moment einer allgemeinen völligen und katastrofalen Verfinsterung, den Gedanken und Anspruch der Revolution am Leben erhalten, und sich mit grosser Entschiedenheit dem allgemeinen Konsens entgegengestemmt; aber damit hatte sich ihre historische Leistung auch schon erschöpft. Die grosse intellektuelle Selbstzufriedenheit und Genügsamkeit, die sich in ihr ausgebreitet hatte, war selbst zu einem Hindernis geworden für die Radikalisierung der Kritik zu dem Punkt, wo sie die Krise provoziert.

Das also war die Arbeit, die vor uns lag: mit den wenigen Mitteln, die wir wenigen Versprengten in der unterfränkischen Provinz aufbringen konnten, unsere noch ungenügend abstrakten Kategorien zu konkreten Attacken zu radikalisieren, und dabei weit über das hinauszugreifen, was allgemein als Stand der Debatte galt.

Im Rückblick lässt sich sagen, dass wir an dieser Aufgabe ziemlich ehrenvoll gescheitert sind. Wir haben immerhin über zweieinhalb Jahre eine Art Zeitschrift zusammengeschrieben, die es fertiggebracht hat, gleichzeitig populär und kritisch zu sein; die das unsinnige Vorurteil widerlegte, die Begriffe der kritischen Theorie seien eine hermetische, rätselhafte Geheimwissenschaft, von umständlichen Intellektuellen in unsichtbarer Tinte niedergeschrieben, allein zu dem Zweck, der Menge unverständlich zu bleiben.

Wir haben vielmehr den Beweis angetreten und geführt, dass die Begriffe der kritischen Theorie im Gegenteil eine hermetische, rätselhafte Geheimwissenschaft sind, die von umständlichen Intellektuellen in unsichtbarer Tinte niedergeschrieben werden allein zu dem Zweck, die Isolation zu zerbrechen, und endlich allgemein verständlich zu werden.

Geheimnisvoll und rätselhaft nämlich muss dieser Gesellschaft, die über jeden Widerspruch schon hinweggegangen ist, jeder Gedanke sein, der ihr noch widersprechen will; und die unsichtbare Tinte kann von Fall zu Fall auch durch sehr sichtbare Schrift ersetzt werden, auch an Wänden und Mauern, wenn es die Umstände erfordern. Man soll sich nie dahin bringen lassen, auch nur einen Satz zu schreiben, der die volle Wahrheit der Katastrofe verschweigt, und ebenso die volle Realität derjenigen Veränderung, die nötig wäre. Je mehr Sätze man findet, die beides enthalten, desto besser; und kein Gedanke ist konkret genug, und keiner ist wahr, der nicht die höchsten Höhen der Abstraktion erreicht.

Wir haben einen bestimmten Punkt nicht überschreiten können, aber wir haben ihn jedenfalls erreicht, und das können heute in diesem Land nur wenige von sich sagen. Die Grenzen unseres Versuches sind heute deutlich sichtbar, aber wir sind wenigstens bis an diese Grenze gegangen. Ich würde nicht behaupten, dass der Letzte Hype irgendeinen Grund hätte, sich zu verstecken, trotz seines wenig rühmlichen Endes; ich meine im Gegenteil, dass er sogar als Vorbild und Modell künftiger ähnlicher Vorhaben dienen kann.

4. Der Letzte Hype war die bisher erste kommunistische Untergrund-Zeitschrift mit Rätselseite, Kochrezepten und Spieleanleitungen; und, strafe uns Gott, wenn uns die Zeit geblieben wäre, hätten wir noch Strickmusterbögen beigefügt, aus purem Überdruss. Für unsere Leser/innen war uns nur das Beste gut genug. (Eine Modebeilage, sogar in Farbe und Hochglanz, hat es sogar einmal gegeben.)

Von der ersten Nummer an druckten wir auf die letzte Seite ein Horoskop, in dem wir, nach dem ursprünglichen Konzept, in jeder Ausgabe einem ganzen Zwölftel unserer Leser/innen/schaft unfassbares Ungemach in Aussicht stellen wollten. Man verzeihe uns diese Anpassung an den Massengeschmack, aber diesen mächtigen Hebel wollten wir uns nicht aus der Hand nehmen lassen. Mit der Zeit veränderten sich die Tierkreiszeichen, neue, bisher ungekannte traten hinzu, exotische Tiere, Haushaltsgegenstände, fabelhafte Ungetüme; immer verschlungener und sinnloser wurden die angedrohten Schicksale, immer nutzloser und ärgerlicher die ganze Rubrik. Das Horoskop zu schreiben, wurde zuletzt zur lästigsten Arbeit an der ganzen Ausgabe, die den Druck meist nicht unerheblich verzögerte. Aber wir taten es dennoch gerne, weil wir fühlten, dass es richtig war.

Daneben gab es ein Sudoku, das seit der ersten Ausgabe immer entweder unlösbar, oder aber lächerlich einfach gewesen ist; ein einziges Mal war es darauf angelegt, solide und anspruchsvoll zu sein, aber leider machte der, den wir den Verleger nannte, einen kleinen Fehler, und die 8 kam in der selben Spalte zweimal vor. Viele unserer Leser haben uns das nie verziehen. Das Sudoku wurde irgendwann durch „Malen nach Zahlen“ abgelöst, ein sehr viel angemesseres Konzept, das in keinem Untergrund-Magazin mehr fehlen sollte. Wenn man die Punkte verband, ergab sich entweder ein undefinierbares Gebilde oder, besser noch, ein beleidigendes Wort.

Die Koch-Kolumne Rainer Bakonyis war das einzige, was von unserem ursprünglichen Vorhaben, die Form des Artikels aufzubrechen und die Trennungen zwischen Kunst, Filosofie und revolutionärer Politik niederzureissen, geblieben war. Bakonyi schrieb Mischungen aus Konzertrezensionen (Mozart, Rachamaninov, Mahler), politischem Kommentar und kritischer Intervention, und war ingesamt derjenige, der am meisten von uns allen auf der Höhe einer Kritik der Totalität zu bleiben vermochte, während er eigentlich nichts tat, als ein Kochrezept zu erklären.

5. Die Platten- und Buchkritiken waren ein gewisser Schwachpunkt des Heftes, da die wenigen, die schreiben konnten, nicht viel von Musik verstanden, und umgekehrt. Überhaupt erwies sich die Hürde der Schriftlichkeit als ein nahezu unüberwindbares Problem, aber in einem Sinne, den man nicht erwartet hätte. Wir wussten natürlich, dass die mangelnden schriftlichen Fähigkeiten des Proletariats immer ein Haupthindernis bei dessen Versuchen, die Mittel des Ausdrucks zu erobern, gewesen war. Aber niemand hatte uns darauf vorbereitet, dass die mangelnden schriftlichen Fähigkeiten des Haufens von grossenteils Politikstudenten, aus dem die Redaktion bestand, eine Hürde bieten würden, die uns bereits den Versuch unmöglich machen könnte, bis zu diesem Haupthindernis vorzustossen.

Trotzdem wurde auch über Musik einiges schöne geschrieben, von dem einiges auch verstanden werden konnte, und besonders hoch rechne man dem Heft an, die wirklichen Urheber der Parole „Nie wieder Deutschland“ ausfindig gemacht zu haben, deren Erfindung ausgerechnet der National-Linke Elsässer beansprucht. Es war aber nicht nur nicht er, sondern auch kein anderer Politruk, nämlich stattdessen eine unterfränkische Punkband im Jahre 1987; was auch immer sie sich dabei gedacht haben mag.

Das wichtigste, und am meisten beispielhafte für eine tatsächlich antideutsch-kommunistische Zeitschrift, war ihr konsequent durchgeführter Lokalismus, und zwar hinsichtlich der Themen wie auch hinsichtlich der Autoren. Es ist schon gesagt worden, es ging nie darum, eine neue Bahamas zu schreiben, wie sie schon dutzendweise in Deutschland gefertigt werden, in Käffern, die auch nicht weniger provinziell sind als das unsere. Was für eine unnütze Quälerei für die, die schreiben, wie für die, die lesen, ein solches Heft ist; auf Hochglanz polierte Texte, in denen ein ums andere Mal Gerhart Scheit parafrasiert wird, und wenn es von Gerhart Scheit selbst ist; Artikel, die nichts anderes sind als Zweitabdrucke von Sachen, die schon in der Bahamas standen oder zumindest täuschend so aussehen; völlig uninteressant für alle, die Gründe haben, die Bahamas nicht zu lesen, und ganz ohne Neuigkeit für alle, die es tun. Was für eine Verschwendung, Dinge zu schreiben, die nur eine völlig sterile Gemeinde derer, die bereits bekehrt sind, lesen wollen und können; und zuletzt betrügt man darüber nur sich und die geneigte Leserschaft um die Mühe der Erfahrung, und um die Qualen der Konfrontation mit dem, wovon man wirklich umgeben ist, und das ist nun einmal die Provinz.

Im Letzten Hype gab es so gut wie keine Gastbeiträge, und nichts, was geschrieben worden ist, ist nicht von denen, die es geschrieben haben, selbst gedacht worden. Vielleicht hatte man manchmal zuwenig Hemmungen, sogar Dinge abzudrucken, die man selbst für mitleiderregend beschränkt hielt; aber es schrieb doch niemand etwas nieder, das er nicht wenigstens mutmasslich selbst verstanden zuhaben glaubte, und die Texte glichen nicht so sehr ungedeckten Cheques, wie so viele in den Bahamas-Generika der antideutschen Provinz. Oder der Bahamas selbst, zuweilen.

6. Die am meisten gelesene und daher insgesamt wohl charakteristischste Artikelreihe war Hunter S. Heumanns Serie „Unterfrankens hässlichste Orte“, eine Serie, deren einziger Fehler wohl in ihrer völlig unberechtigten Verengung auf das Unterfränkische bestand. Die Artikel funktionierten, allgemein gesprochen, so, dass der Reihe nach ein unterfränkisches Kaff nach dem anderen vorgenommen wurde; schon die Namen erfüllten alle die, die es lasen, mit allen exotischen Schrecknissen einer nur zu vertrauten Ödnis; niemand unter uns, der nicht auf einem ähnlichen Kaff aufgewachsen war. Der Trick war nun, dass sämtliche tatsächlichen Merkmale des Kaffs weggelassen und durch selbst ausgedachte, ebenso groteske und scheussliche Merkmale ausgetauscht wurden, die aber wenigstens den Vorzug der Originalität und Poesie für sich hatten.

Diese Rubrik wurde beängstigend gerne gelesen, am meisten von den guten Leuten auf den Dörfern selbst, die unsere Kommentarspalten mit wütenden Drohungen füllten. Wer näheres wissen will, suche in Google den Namen des schönen Ortes Sonderhofen und beachte die feine Ironie der ersten 4 Ergebnisse. (Ein schönes Beispiel findet sich auch in der mittlerweile legendären Ausgabe 9.)

Das Ende des Letzten Hype ist vor allem deswegen bedauerlich, weil so viele Orte in Unterfranken völlig unverdient diesem Schicksal entkamen. Und zu gerne hätte man den Autor auch Orte wie Uffenheim, Kulmbach, Hof, Forchheim, Hassfurt, Kissingen, Münnerstadt, Zeil, Ort, Brocke, Brühe, Waldbüttelbrunn, Leuthershausen, Nürnberg, Giebelstadt und Selb besprechen sehen. Oder Wachenroth.

Es wird gerne unterschätzt, wie weit die Dörfer, durch Verwandschaft und Herkunft, in das städtische Milieu hineinreichen; noch mehr, wie sehr der Charakter der Dörfer und der der mittleren Städte sich einander annähert. An einer Stadt wie Würzburg kann man fast exemplarisch aufzeigen, wie die Dörfer allmählich, unter Bewahrung ihres hergebrachten Elends, auf das Niveau von suburbanen Zonen heruntergebracht werden; nicht ohne einiges hin und her über die Jahrzehnte. Wer sich genauer damit befasst, kann Untersuchungen anstellen über das Aufleben und Verschwinden ganzer fast rein dörflicher linker Szenen, von der Lehrlingsbewegung 1969 bis hin zu den letzten Ausläufern einer dörflichen Punkbewegung, oder auch einer Drogenszene, in den 1990ern im würzburger Land und Westmittelfranken.

Und diese fränkischen Dörfer waren noch mehr als nur ein Produktionsverhältnis des unbegreiflichsten Stumpfsinns und Überdrusses; sie waren, so wie sie da standen, einmal der hauptsächliche Rekrutierungsraum der Freikorps gegen die Räterepublik, und danach die Herzkammer der NSDAP, wo man schon in den späten 1920ern Wahlergebnisse hatte wie anderswo in den späten 1930ern, und die Gegenden, in denen der Hass gegen die Stadt, gegen die Moderne sich am frühesten zu einem ebenso allumfassenden wie unbegreiflichen Antisemitismus radikalisiert hatte. Nicht einmal, dass dieses Dorf tot ist, kann einen hier trösten, weil es gestorben ist an nichts anderem als seinem völligen Sieg über die Stadt.

Alle diese Dinge waren uns gegenwärtig, ohne dass je Gelegenheit gewesen wäre, sie eigens zu behandeln. Dorf und Umland vertreten gegenüber den städtischen Milieu das Verdrängte und nicht Verarbeitete, und sind deswegen beladen mit einer Geschichte, die es (im Sinne Walter Benjamins) zu rächen gilt. Städte wie Würzburg sind nichts anderes als eine Anhäufung aller derer, die dieser unerledigten Geschichte, die nie geschrieben worden ist, entfliehen. So wie die Überlebenden der aufgezählten dörflichen Szenen sich irgendwann in die Städte geflüchtet haben, als wären sie die Rettung.

Wir waren überzeugt, dass eine Zeitschrift wie der Letzte Hype nicht bestehen kann, ohne einen Fuss in den Dörfern zu behalten. Wer den Kampf auf den Dörfern verloren gibt, braucht auch den in einer Stadt wie Würzburg nicht erst aufzunehmen. Wir haben denn auch, so weit es nur ging, versucht, auf die Bedürfnisse der nachwachsenden linken Szene auf den Dörfern, die uns ohnehin nahestand, Rücksicht zu nehmen. Sie dankte es uns mit andauernder Verbundenheit, ohne die uns nichts von alledem gelungen wäre, was wir angefangen hatten.

Wenn man das ganze länger getrieben hätte, hätte man es viel gründlicher anfangen müssen. Man hätte die Dörfer wesentlich offensiver ins Visier nehmen müssen, aber ach, dasselbe gilt für Würzburg selbst.

7. Von ziemlich früh an war irgendwann das, was die Situationisten wohl Urbanismus nannten, zu einem ständigen Thema geworden; weil wir es irgendwie geschafft hatten, in langen und ständigen Diskussionen diese Theorie, die eigentlich für Grossstädte entworfen worden war, auf das Niveau von Würzburg herunterzurechnen, und zu einer gewissen Konkretion zu bringen.

Die Stadt und ihre Zusammenhänge, in städtebaulicher, verkehrsgeografischer und im weitesten Sinne kultureller Hinsicht, wurde ein Hauptthema, dem in der grimmigen Absicht zu Leibe gerückt wurde, Ritzen in diesen Zusammenhängen zu finden, um sie zu subvertieren. Die viel zu seltenen geheimen Besuche, die unauffälligen Orten ab und zu gemacht wurden, trugen dazu bei, einen Überblick über gewisse innere Randzonen des städtischen Gefüges zu gewinnen, von denen aus die Befestigungen dieses Gefüges vielleicht umgangen werden konnten.

Praktisch wurden diese theoretischen Erörterungen, sieht man von einigen Erkundungen und sehr wenigen wagemutigeren Expeditionen einmal ab, viel zu selten; mehr zu sagen, verbietet die Rücksicht auf den Anstand. Vielleicht frage man auch besser das Partykomittee.

Konsequent folgte aus dieser Idee der Subvertierung auch, mit Rücksicht auf den Vertrieb und sogar die Struktur des Blattes, dass es nicht angehen konnte, zu glauben, das Blatt verkaufen zu können. Es konnte nicht anders sein, als es kostenlos auszulegen (d.h. selbst zu bezahlen), und zwar mit Vorliebe nicht an den Orten, wo die Leute sassen, die es gerne lasen. Es gab Zeiten, wo man den Hype zuverlässiger an den Stehtischen der Tankstellen und in den Hauseingängen der würzburger Bidonvilles finden konnte als in den alternativen Szenekneipen und den sonstigen Knoten des Studierendenmilieus, für dessen Verwendung solche Zeitschriften gewöhnlich verfertigt zu werden pflegen. Oft warf man mehr als die Hälfte der Ausgabe in den Aussenbezirken in die Briefkästen. Ob die Hefte gelesen würden oder weggeworfen, machte in unseren Augen keinen kennzeichnenden Unterschied, verglichen mit den Schicksalen, die ihnen bestimmt waren, wenn sie auf interessierte Studenten träfen.

Und nach allem, was man annehmen darf, hat es das Heft geschafft, pro Ausgabe eine Leserschaft von vielleicht 200 Leuten auf Papier und 300 Leuten im Netz zu erreichen. Für eine extremistische Zeitschrift in einer unfassbar verschissenen Gegend ist das nicht wenig. Ob das alles eine Wirkung gehabt hat, das wird man nie erfahren. Es ist auch nicht wichtig. Wichtig, und entscheidend, war, dass man versucht hat, und nicht ganz ohne Erfolg, die Isolation, die Sprachlosigkeit zu durchbrechen; Mittel des Ausdrucks zu erschaffen und zu erobern ausserhalb der regulierten und zulässigen Kommunikation auf den Wegen der sogenannten Öffentlichkeit; und konsequent anti-politisch jede Gelegenheit versäumt hat, selbst zu einer Institution zu werden, und zu einem Teil des Elends, gegen das man angeht.

Zuletzt war, es war nicht überraschend, das Elend stärker, und sogar die blosse Niederlassung in einer Stadt wie Würzburg erweist sich auf Dauer als ein starkes Gift; das ungesunde Milieu, gegen das der Hype einmal aufgestanden war, hatte von Anfang an mit stärkeren Waffen bekämpft werden müssen als mit einer wie durchgedrehten Zeitung auch immer; es bewegte sich zuwenig, ausser aus Würzburg fort, und was noch blieb, darin war kein Leben mehr, kein Widerstand, keine Verzweiflung, und keine Vernunft.

Das Unsichtbare Komitee hat wenigstens den einen wahren Satz gesagt, dass man jedem Milieu misstrauen muss und sich hüten muss, selbst eines zu werden. Als alle Mittel erschöpft waren, war es Zeit, die Zelte zusammenzufalten und weiterzuziehen; so wie vor uns ganze Generationen von Unruhigen aus den Dörfern geflohen sind; etwas besseres als den Tod finden wir überall; und ehe wir uns plötzlich in der Lage finden, für die würzburger Szene zu schreiben statt, wie es richtig war, gegen sie, werden wir jeden neuen Anfang dem gewissen Erstickungstod in der treusorgenden Armen dieser Szene vorziehen; welcher neue Anfang aber auch gemacht werden muss, wozu wir an dieser Stelle alle, die es angeht, nachdrücklich einladen wollen.

3 Comments

  1. […] Nachruf auf den Letzten Hype. Wir gratulieren! […]

    Pingback by Oh, das ging aber plötzlich « der letzte hype — 2011/05/28 @ 13:06

  2. \so etwas ähnliches wie eine kommunistische Zeitschrift anzufangen\ -> gut, dass ihr das mitteilt, denn diesen Hintergrund konntet ihr sehr gut verbergen..

    Kommentar by Ernst — 2011/05/29 @ 10:51

  3. […] man der Meinung ist, dass ein Nachruf dem Letzten Hype gerecht werden kann, dann ist folgender der beste, den man über den Hype schreiben konnte. […]

    Pingback by Letzter Hype….ein Nachruf « Wissenswertes über Würzburg — 2011/05/29 @ 22:55

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