In The Absence Of Truth

2011/01/31

Zwei Revolten. Ägypten. 2011 Teil II

Filed under: General — In the absence of truth @ 14:13

Teil I findet man hier:  https://intheabsenceoftruth.noblogs.org/post/2011/01/29/zwei-revolten-tunesien-und-agypten-201011/

Die arabische Welt hält den Atem an und schaut auf Ägypten. Der Kampf, der dort dabei ist, sich zu entfalten, ist ein Vorzeichen der Kämpfe, die dort, vielleicht, bald zu sehen sein werden.

Eine Niederlage des ägyptischen Aufstandes, gegen das Militär oder gegen die Islamisten,  wird zu einer Niederlage der Aufstände führen, die schon ihre ersten Schritte tun; in Libyen, im Sudan, Yemen, Algerien. Sie würde vorzeichenen, was aus ihnen werden wird, auf die eine Weise oder die andere.

1: In Ägypten haben sich die Dinge zu einem Punkt entwickelt, wo es klare Anzeichen einer revolutionären Zersetzung und Neuorganisation der Gesellschaft gibt.

Die verhassten Polizeikräfte sind fast zerfallen, sie hatte sich von den Strassen zurückgezogen, und war nirgendwo zu sehen. Diese erstanliche Beobachtung, die vielleicht niemand vorhergesehen hat, und die auf Seiten der Protestierenden Unglauben und Misstrauen weckte, ist nicht so sehr ein Zeichen für die relative Stärke der letzteren – in militärischen Begriffen – , sondern für die innere Schwäche der Polizeitruppe.

Die Truppe zeigte sich halbwegs verlässlich, solange die Protestierenden gesehen werden konnten als Leute aus der Mittelklasse mit akademischem Hintergrund. Es scheint, dass diese Wahrnehmung zusammengebrochen ist, als Leute von den unteren Schichten der Gesellschaft, nach einigem Zögern, begannen, sich mit ihrem Kampf zu identifizieren und auf die Strassen zu gehen.

Die Polizeimacht, die zumeist aus Angehörigen der unteren Schichten rekrutiert wird, scheint sofort zusammengebrochen zu sein, angesichts eines Aufstands, der sich zu grossenteilen als proletarischer erwies.

Das Verschwinden der Polizeimacht von der Strasse, und die sofortige Welle von Plünderungen, die ihm folgte – die meisten Äqypter behauptetn: organisiert von der Polizei selbst – , provozierte eine massenhafte Reaktion: man begann, Nachbarschaftskomittees zu bilden, die dazu bestimmt waren, die Bevölkerung zu verteidigen, sowohl gegen den Staat, als auch gegen die Banden.

2. Auf sehr ähnliche Weise enstand eine andere Form der Selbstorganisation: Arbeiter-Fabrikkomittees, wenigstens in den industriellen Schwerpunkten, wo sich die Arbeiter zusammentaten, um ihre Betriebe zu verteidigen (lies: besetzen), und einen Generalstreik zu organisieren. In diesen Kreisen wird auch versucht, unabhängige Gewerkschaften zu gründen.

Diese Entwicklungen sind bedeutsam, weil über Teile der Gesellschaft, auf dieser Stufe, keine staatliche Kontrolle mer bestand. Die Menschen hatten die Möglichkeit, und die Verpflichtung, sich selbst zu organisieren.

Es scheint, dass, wenn es ein Kriterium gibt, das eine soziale im Gegensatz zu einer bloss politischen Revolution bezeichnet, gerade dies das Kriterium ist. Was wir in Ägypten vor uns sehen, ist eine vollständige soziale Revolution.

Wenn man es von da aus beurteilt, wo die iranische Revolution 1978/79 gescheitert ist, kann man jetzt schon absehen, dass eine Gefahr besteht, tief eingelassen in die zweifache Struktur dieser neuen und spontanen Selbstorganisation. Die zwei Zweige, wenn man so will, können dazu neigen, verschiedene Wege zu gehen, weil sie völlig verschiedene Bedürfnisse ausdrücken, und einer völlig anderen Dynamik unterworfen sind; und dies wird verwendet werden können, um sie abzuschaffen.

1978/79 kamen die Stadtteilkomittees, die komiteha, an einem bestimmten Punkt unter den Einfluss islamistischer Geistlicher und ihrer Anhängerschaft, die in den Wohnvierteln gross und ergeben und organiziert war, und skrupellos, und vollkommen unwillens, nach den Regeln der revolutionären Demokratie zu spielen, sondern die darauf ausging, ihre Gegener zu zerschmettern. Ihr bewaffneter Flügel wurde später in den Apparat der Pasdaran integriert; sehr in derselben Art, wie Feliks Dzershinsky die Cheka geschaffen hat aus den Militärkommissionen der örtlichen Soviets, oder was noch von ihnen übrig war, nachdem sie gesäubert und in ein blosses Instrument verwandelt worden waren.

Auf der anderen Seite gerieten die Arbeiterräte immer mehr unter die Kontrolle leninistischer oder populistischer Organisationen, die ihre Reichweite und potentielle Wirksamkeit zu einem blossen politischen Werkzeug verengten; als die Zeit kam, wo sich die Islamisten gegen die Arbeiter wendeten, fielen alle diese Organisationen, innerhalb von Monaten.

Auf diese Weise unterlag die proletarische Selbstorganisation den Islamisten.

Ihre zwei Zweige vertrat zwei verschiedene Tendenzen, und diente zu letzt zwei verschiedenen Klassen; die Stadtteilkomittees vertraten mehr und mehr das, was man ein kleines Bürgertum nennen könnte, die Fabrikräte die industrielle Arbeiterschaft. Es gab aber keine Struktur, die die Organisation der Gesellschaft als ganzes hätte übersehen können; die aufständische Demokratie, aus der Verteidigung geboren, erwies sich als hilflos, und zu letzt unfähig, dem Feind zu widerstehen.

Wir sehen nicht, was heute dem ägyptischen Aufstand helfen könnte, dieser Falle zu entkommen.

3. Das ägyptische Militär scheint unentschlossen zu sein, ob es sich gegen Mubarak wenden soll, oder gegen den Aufstand. Es hat die Städte betreten, unter dem Beifall der Menge, die es als Gegengeweicht gegen die Polizeikräfte ansieht; und es hat, bisher, davon abgesehen, gewaltsam gegen die Aufständischen einzuschreiten.

Wenige Analysten glauben, dass es das nicht könnte. Wir glauben das aber; denn wir sehen nicht, wie die Armee dem Schicksal, das die Polizei erlitten hat, entkommen könnte.  Und wenn sie es nicht könnte, würden bewaffnete Überläufer aus ihren Reihen sich dem Aufstand anschliessen, der damit bewaffnet wäre. Und dies wäre das Ende jeden Versuchs, die Ordnung wiederherzustellen; welches Ziel sich aber die Führung des Militärs gesetzt hat.

Ausserdem bemüht sich das Militär verzweifelt, ein Teil der Lösung zu sein und nicht ein Teil des Problems; es wird deswegen erst gewaltsam gegen die Proteste vorgehen, wenn es eine so genannte politische Lösung gibt, das heisst eine sogenannte Regierung der nationalen Einheit, unter Baradei oder sonst jemandem, mit oder ohne die NDP.

Der Tag, an dem solche eine Lösung vorgezeigt wird, wird der Tag sein, an dem die Armee ernsthaft einschreiten wird.

Der letzte Faktor in der Gleichung sind die Ikhwan al muslimun. Die Islamisten sind, wie es aussieht, derzeit nicht bereit, in der Vordergrund zu kommen. Sie werden auf den Moment warten, wo man den Gewinner erkennen kann, und ihr Risiko klein halten. Sie unterhalten eine mehr symbolische Präsenz bei den Protesten, und verhandeln im Hintergrund. Sie wissen, dass sie Teil jeder politischen Lösung sein werden, und haben genügend Macht, um sich gegebenenfalls auf den Strassen Gehör zu verschaffen.

Sie sind ein Feind, mit dem man rechnen muss. Denke niemand, sie seien marginalisiert. Sie sind nur vorsichtig. Man wird von ihnen hören, auf die eine Weise oder auf die andere.

Jede so genannte politische Lösung, das soll man nie vergessen, ist keine Lösung. Es geht nicht um eine neue Regierung; wäre es darum gegangen, wäre all das niemals passiert.

Die arabische Welt, und nicht nur diese, schaut zu. Grosse Dinge sind dabei, sich zu entfalten. Niemand weiss, wie es ausgehen wird. Es könnte alles fürchterlich schiefgehen. Damit es nicht fürchterlich schiefgeht, brauchen die Dinge Unterstützung. In Europa, und anderswo, tut Aktion not. Alle, denen etwas am Erfolg der ägyptischen Revolution leigt, müssen aktiv werden. Ihr werdet wissen, was ihr tun müsst, wenn ihr keine kompletten Idioten seid. Ich weiss, viele von euch sind es.

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